Es gibt Traditionen, von denen man sich wünscht, sie würden überflüssig werden: Seit 2006 machen wir als JEF jährlich mit einer europaweiten Aktion auf die Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland (Belarus), der letzten Diktatur Europas, aufmerksam – so auch in diesem Jahr. In Hessen haben wir uns diesmal in Darmstadt und Frankfurt an der Aktion beteiligt. 2015 fand die Aktion, bei der wir Statuen in ganz Europa symbolisch den Mund verbinden, bereits zum zehnten Mal statt – ein trauriges Jubiläum.
Die Menschenrechtslage in Weißrussland ist indes unverändert kritisch. Aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit jedoch ist Weißrussland praktisch verschwunden – die Medien berichten so gut wie gar nicht über die Situation im Land. Anlässlich der Eishockey-WM in der weißrussischen Hauptstadt Minsk schrieb der Tagesspiegel im Mai vergangenen Jahres in einem der wenigen Berichte: “Eingeschränkte Meinungsfreiheit, Versammlungsverbot, Homophobie – das System ist weit von demokratischen Grundprinzipien entfernt.” 1 Auch die durch die Eishockey-WM etwas erhöhte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit brachte keine Besserung, im Gegenteil. Präsident Alexander Lukaschenko wollte sich die Show nicht von Protesten kaputt machen lassen: Bekannte Aktivisten ließ er vorsorglich ins Gefängnis stecken – ohne, dass es überhaupt zu Aktionen gekommen wäre. “Hunderte Menschen wurden vom KGB verhört, eingeschüchtert oder zum Verlassen der Hauptstadt aufgefordert.” 2
Mit unserer europaweiten Aktion wollen wir ein kleines Zeichen der Solidarität mit all jenen Menschen setzen, die sich in Weißrussland und andernorts in Europa für Freiheit und Demokratie einsetzen. Denn die Situation in Weißrussland führt uns auch vor Augen, dass Demokratie immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden muss – auch im Rest Europas.
So wurden im EU-Mitgliedsland Ungarn in den vergangenen Jahren unter Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immer weiter ausgehöhlt. Oppositionelle Politiker, regierungskritische Medien und Nichtregierungsorganisationen werden unter Druck gesetzt und die Meinungsfreiheit auf diese Weise eingeschränkt. Eine Entwicklung, die uns als JEF mit großer Sorge erfüllt. Im Juli vergangenen Jahres verkündete Orbán gar, der ungarische Staat werde sich nicht weiter an liberale Werte halten und sich stattdessen an Ländern wie Russland, Türkei und China orientieren. 3 Immer wieder demonstrieren insbesondere junge Ungarn zu Tausenden für Demokratie, Meinungsfreiheit, gegen Korruption – und für Europa. 4
Auch in anderen Teilen der EU haben nationalistische und extremistische Kräfte, die demokratische Grundsätze in Frage stellen, Auftrieb erhalten. Daher führen wir die Aktion, die wir 2006 als “Free Belarus”-Aktion gestartet haben, seit vergangenem Jahr unter dem Namen “Demokratie unter Druck” fort. Unser Ziel: All jenen Menschen in Europa eine Stimme zu geben, denen man den Mund verbieten will. Denn:
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit; sie braucht Menschen, die sich für sie einsetzen – in Weißrussland, in Ungarn und in ganz Europa.
1 Claus Vetter: Blut und Spiele bei der Weltmeisterschaft in Weißrussland; Der Tagesspiegel, 05.05.2014
2 Simone Brunner: Eiszeit in Minsk; ZEIT ONLINE, 16.05.2014
3 Michał Kokot: Orbán macht den Putin; ZEIT ONLINE, 30.07.2014
4 Protest in Ungarn wächst; Deutsche Welle, 19.03.2015