Die Hauptursache für die sog. Eurokrise liegt in den Folgen des Absinkens der Zinsen an der Euro-Peripherie seit Einführung des Euro begründet. Stark gesunkene Zinsen veranlassten Regierungen dieser Staaten zu erhöhten Ausgaben auf Pump statt ihre bestehende Staatsverschuldung abzubauen. Die scheinbar gewachsenen Finanzspielräume ermöglichten das Verschleppen von Strukturreformen und führten zu einem drastischen Verfall der Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaften. In mehreren Staaten führten die für diese Volkswirtschaften präzedenzlos günstigen Zinsen auch zu überschießenden Booms und Blasen, vor allem im Immobiliensektor. Unzureichend regulierte und unzureichend beaufsichtigte Finanzinstitute nutzten diese Lage für hochriskante Geschäfte, die die Institute in Schieflage brachten. Mit der Finanzkrise verloren viele Investoren ihr Vertrauen in die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen und zogen ihr Kapital ab, so dass sich gewaltige Finanzierungslücken auftaten. Die sog. Eurokrise besteht also aus drei Krisen:
- Staatsverschuldungskrisen und Krisen übermäßiger
Verschuldung Privater
- Wettbewerbsfähigkeitskrisen
- Krisen des Finanzsektors.
Wer die Eurokrise nachhaltig im Sinne der jungen Generation bewältigen will, muss jede dieser Krisen auf der geeigneten Ebene und mit den
richtigen Instrumenten angehen.
2.2. Europäische Solidarität: Begrenzte Finanzhilfen…
Deutschland hat unter der christlich-liberalen Regierung zur Bewältigung der Krisen im Euro-Raum bis heute erhebliche und in der Geschichte präzedenzlose europäische Solidarität bewiesen und ist der mit Abstand größte Geber von Finanzhilfen und Garantien für überschuldete Mitgliedstaaten. Die damit erkaufte Zeit müssen nun vor allem die Krisenstaaten für beherzte Strukturreformen nutzen. Das Prinzip “keine Leistung ohne Gegenleistung” muss weiter gelten. Die Finanzhilfen müssen begrenzt bleiben, denn andernfalls können sie zur Verschleppung von Reformen missbraucht werden, was die Krisen nur vertiefen würde.
Der Druck in Richtung auf Reformen, den Marktzinsen auf Schuldnerstaaten ausüben, ist unverzichtbar und kann durch nichts ersetzt werden. Verträge wie z.B. der Fiskalvertrag oder der geschärfte Stabilitätspakt sind richtig und wichtig, doch wir werden uns nicht alleine auf sie verlassen. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass Verträge weit interpretiert werden können und dann ihren Zweck nicht mehr richtig erfüllen. Unbegrenzte Haftung oder Schuldenvergemeinschaftung wie z.B. über Eurobonds, einen Schuldentilgungsfonds oder eine Schuldenunion lehnen wir ab. Sie wären nicht nur für Europa ökonomisch und politisch verhängnisvoll, sondern auch höchst ungerecht für die dafür haftenden Bürger, die auf das Entstehen der Schulden keinen Einfluss hatten, und sie wären verfassungsrechtlich problematisch.
Für die Unabhängigkeit der EZB werden wir uns ebenso einsetzen, wie dafür, dass alle Maßnahmen der EZB im Rahmen ihres demokratisch legitimierten Mandats bleiben. Beides sind zwei Seiten einer Medaille. Eine Staatsfinanzierung durch die EZB und damit die Sanierung von Staatshaushalten durch Inflation lehnen wir entschieden ab.
Auch in Zukunft muss der Deutsche Bundestag die Entscheidung über jede Gewährung von Finanzhilfen oder Garantien haben.
2.3. … gegen Solidität: Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen
Nur ein Europa, das aus wettbewerbsfähigen und stabilen Staaten und Volkswirtschaften besteht, die ihre jeweiligen Stärken nutzen, die wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, und die eng zusammenarbeiten, kann die Herausforderungen der Globalisierung meistern.
Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze entstehen nicht per se durch eine EU-weit vergemeinschaftete Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bitte bedenken Sie, dass die falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik, die zahlreiche EU Mitgliedstaaten in schwere Krisen geführt hat, die nunmehr die gesamte EU und die Weltwirtschaft schwer bedrohen, im Fall einer Vergemeinschaftung dieser Politikbereiche auch in Deutschland sehr stark negativ gewirkt hätte. Vergemeinschaftung bedeutet nämlich nicht, dass wir unsere Vorstellungen von nachhaltiger Wirtschafts- und Finanzpolitik in der EU gegen zahlreiche andere Interessen auch durchsetzen können. EinePolitik wird nicht automatisch dadurch besser, dass sie auf einer höheren Ebene geführt wird, sondern nur dadurch, indem die für die jeweiligen Volkswirtschaften und ihre Besonderheiten richtige und maßgeschneiderte Politik geführt wird. Wenn man die Lage in Deutschland mit derjenigen in den Krisenstaaten vergleicht, die andere Wege eingeschlagen haben, fühlen wir uns in unserem Kurs bestätigt.
Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze entstehen auch nicht dauerhaft durch Hilfsfonds oder billiges Zentralbankgeld , sondern dort, wo eine gut ausgebildete Bevölkerung arbeitet, wo Arbeits- und andere Märkte offen und nicht überreguliert sind, wo fairer Wettbewerb herrscht, wo eine leistungsfähige und schlanke Verwaltung und Justiz arbeiten, wo Löhne und Preise proportional mit dem Produktivitätsfortschritt wachsen, wo die Staatsausgaben gemessen an der eigenen Produktivität tragbar sind, und wo Menschen daher Vertrauen haben, ihr Geld zu investieren.
Im gemeinsamen Europäischen Interesse müssen daher vor allem die Mitgliedstaaten jeder für sich und zugleich koordiniert zügig durchgreifende Strukturreformen in ihren jeweiligen Problembereichen durchführen. Angesichts der Größe des Finanzbedarfs von Staaten und Banken kann dieser nicht mit öffentlichen Geldern, sondern nur mit privatem Kapital gedeckt werden. Dieses wird nur dorthin fließen, wo die Politik durch glaubwürdige Maßnahmen für entsprechendes Vertrauen
gesorgt hat.
2.4. Die EU kann in diesen Politikbereichen flankieren, den Mitgliedstaaten aber nicht ihre Verantwortung für Reformen abnehmen
Die genannten wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Bereiche zur Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum liegen nach den Europäischen Verträgen zum größten Teil in der Kompetenz und damit Verantwortung der Mitgliedstaaten. Die EU kann ihren Mitgliedstaaten die Verantwortung für unangenehme Reformen nicht abnehmen. Wir werden daher wo erforderlich die notwendigen Reformen in unserem Land angehen und andere EU Mitglieder wenn gewünscht bei ihren Reformen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass die EU durch eine Vollendung des Binnenmarkts, der eine zentrale Grundlage unseres Wohlstands und unseres Sozialstaats ist, dazu beiträgt, dass bislang unerschlossene Wachstumspotentiale innerhalb der EU genutzt werden. Protektionismus in jeder Form lehnen wir ab. Wir wollen EU Richtlinien vollständig und fristgerecht umsetzen, und dabei vermeiden, dass über die Erfordernisse der Richtlinien hinausgehende Erschwernisse in die Umsetzungsverfahren einfließen. Wir wollen in der EU den Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten im Rahmen der WTO-Regeln weiter vorantreiben um den internationalen Handel und damit auch das Wachstum und das Entstehen von Arbeitsplätzen in der EU weiter zu erleichtern.
Wir werden die EU in ihren Bemühungen zur verstärkten Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik ihrer Mitgliedstaaten im Rahmen des sog. “Europäischen Semesters” unterstützen. Auf Fehlentwicklungen in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik von Mitgliedstaaten muss die EU hinweisen.
Wir werden in der EU darauf drängen, dass die vorhandenen Mittel der EU-Struktur- und Kohäsionsfonds in Zukunft stärker auf die Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten ausgerichtet werden, die die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass die EU im Rahmen ihrer Kompetenzen den Banken- und Finanzsektor in der EU besser reguliert und zu einer besseren Aufsicht beiträgt, damit von diesem Sektor keine systemrelevanten Gefahren mehr für die Finanzstabilität Europas und der Welt ausgehen. Finanzinstitute in der EU müssen dazu gebracht werden, sich wesentlich robuster aufzustellen u.a. durch effektivere Risikopuffer und Risikomanagementsysteme für alle Marktteilnehmer in der EU. Auch der Ankauf von Staatsanleihen durch Finanzinstitute soll in der EU ähnlich wie Unternehmenskredite mit Eigenkapital unterlegt werden.
Die künftige Europäische Bankenaufsicht muss so ausgestaltet werden, dass sie durch die europäischen Verträge gedeckt ist. Soweit die EZB involviert wird, werden wir auf eine strikte Trennung zwischen Zentralbank- und Aufsichtsfunktionen Wert legen.
Wir treten für die Schaffung eines nach ordnungspolitischen Prinzipien ausgestalteten EU- Rechtsrahmens für die geordnete Abwicklung von Finanzinstituten ein.
Bei der Abwicklung von Finanzinstituten legen wir auf die klare Haftungskaskade wert, wonach zuerst Eigentümer und Gläubiger, danach der Sitzstaat und erst unter sehr engen Voraussetzungen und in begrenztem Umfang der ESM herangezogen werden kann. Hierzu sollen die Mitgliedstaaten jeweils eigene Einlagensicherungsfonds aufbauen. Die deutschen Sparer sollen nicht mit ihrem Geld für finanzielle Risiken anderer Bankensysteme gerade stehen.
Zur Überwindung der “Euro-Krise” bedarf es tatsächlich einer engeren wirtschafts-, finanz-, und sozialpolitischen Koordinierung. DIE LINKE wies bereits vor Ausbruch der Krise auf den schweren Konstruktionsfehler der Währungsunion hin: Bewusst wurde auf Maßnahmen zur Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzpolitiken der Euroländer verzichtet, mit denen Lohn- und Steuerdumping sowie ein Auseinanderklaffen der Wirtschaftsentwicklungen hätte verhindert werden können. Der dadurch beförderte Standortwettbewerb führte dazu, dass Staaten wie Deutschland über faktisch niedrige Unternehmenssteuern sowie den Druck auf die Lohnentwicklung hohe Exportüberschüsse gegenüber wirtschaftlich schwächeren Staaten aufbauten. Diese außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte bedrohen heute die Stabilität der Währungsunion. Auch die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihrer einseitigen Ausrichtung am Ziel der Geldwertstabilität und das Verbot der direkten Staatsfinanzierung wirken sich bis heute krisenverschärfend aus. Da sich die Staaten über den Sekundärmarkt refinanzieren, müssen gerade diejenigen in wirtschaftlicher Schieflage hohe Zinsaufschläge an private Banken und Finanzinvestoren entrichten. Dies trug und trägt – neben den Bankenrettungsprogrammen, mit denen Staaten nach der Finanzkrise private Kreditinstitute stützten – maßgeblich zur Schuldenexplosion seit 2008 bei. Die derzeit verfolgten Maßnahmen zur “Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion” lehnt DIE LINKE ab, da sie die gescheiterte marktradikale Politik der Vergangenheit fortsetzen und zuspitzen. Außerdem werden durch die Übertragung von wirtschafts- und fiskalpolitischen Kompetenzen und Überwachungsbefugnissen auf die europäische Ebene – vor allem an die EU-Kommission – die Parlamente der Mitgliedstaaten ausgehebelt und das Europaparlament (EP) marginalisiert (siehe Antwort 6).
DIE LINKE will dagegen eine wirtschaftspolitische Koordinierung, die sich eine stärker binnenmarktorientierte, sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaft zum Ziel nimmt. Um die Krise zu überwinden, fordert DIE LINKE kurzfristig den Stopp der wirtschafts- und sozialpolitisch schädlichen Kürzungsvorgaben für die “Krisenländer” sowie die Auflage eines umfassenden Investitionsprogramms für die gesamte EU, (siehe die Antworten 4 und 5), das über eine europaweite Bankenabgabe sowie eine Vermögensabgabe für höchste Einkommen finanziert werden soll. Mittelfristig müssen die Steuer-, Beschäftigungs- und Sozialpolitiken in der EU und Eurozone enger aufeinander abgestimmt werden; dabei müssen EU-weite Mindeststeuersätze bei der Unternehmens-, Kapitalertrags- und Vermögensbesteuerung sowie hohe sozial- und arbeitsrechtliche Standards eingezogen werden, um das heutige Steuer-, Lohn- und Sozialdumping zu beenden. Darüber hinaus ist eine strikte Regulierung des Banken- und Finanzsektors erforderlich. Die aktuellen Reformen zur Einrichtung einer “Bankenunion” reichen zur Eindämmung von Spekulation und zur Beschneidung der Macht des Finanzsektors nicht aus: Schädliche Spekulationsinstrumente müssen verboten, Großbanken zerschlagen und in die öffentliche Hand überführt werden. Zudem kritisiert DIE LINKE, dass mit der geplanten Verortung der Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB die Kontrolle des Bankensektors einer demokratisch nicht effektiv kontrollierten Institution überantwortet werden soll. DIE LINKE will hingegen die EZB grundlegend reformieren und demokratisieren. Außerdem muss das Statut der EZB so verändert werden, dass eine direkte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank möglich wird.