Appell an die Mitglieder des Europäischen Parlaments:

Setzen Sie sich für die Durchsetzung und Weiterentwicklung des Spitzenkandidatenprinzips ein und lehnen Sie Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ab!

By: Melanie WENGER
© European Union 2019 – Source : EP

An:

Sven Simon
Michael Gahler
Dr. Udo Bullmann
Martin Häusling
Nicola Beer
Engin Eroglu
Michael Bloss
Jutta Paulus

 

Sehr geehrte Frau …, / Sehr geehrter Herr …,

wir, die Jungen Europäischen Föderalisten Hessen, wenden uns anlässlich der Nominierung Ursula von der Leyens für das Amt des Kommissionspräsidenten und der für Dienstag, den 16. Juli 2019, angesetzten Abstimmung im Europäischen Parlament an Sie.

Wir möchten Sie bitten, sich dafür einzusetzen,

1. dass das Europäische Parlament den Vorschlag des Europäischen Rates, Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zu wählen, ablehnt.

2. dass sich das Europäische Parlament im Anschluss auf einen Spitzenkandidaten als Kommissionspräsidenten einigt. Der Europäische Rat sollte diese Person dann auch offiziell zur Wahl vorschlagen.

3. dass – sollte es im Europäischen Parlament für keinen der Spitzenkandidaten eine Mehrheit geben – der Verhandlungsprozess im Parlament durch eine Kandidatenauswahl und eine öffentliche Debatte demokratischen Wettbewerbsregeln unterworfen ist. Die politischen Entscheidungen der EU-Institutionen müssen transparent sein.

4. dass Ihre europäische Parteienfamilie zur Europawahl 2024 genau eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten aufstellt.

5. dass – um das Spitzenkandidatenprinzip zu stärken und die demokratische Legitimation der Spitzenkandidaten zu erhöhen – rechtzeitig vor der Europawahl 2024 transnationale Listen eingeführt werden. Auf diese Weise hätten die Bürgerinnen und Bürger in der gesamten EU die Möglichkeit, ihre Stimme der Liste einer europäischen Partei zu geben, die von der Spitzenkandidatin oder dem Spitzenkandidaten der jeweiligen Partei für das Amt des Kommissionspräsidenten angeführt wird.

6. dass für die Wahl des Europäischen Parlaments ein einheitliches europäisches Wahlrecht eingeführt wird, um Wahlgleichheit herzustellen und aus 28 Einzelwahlen eine gemeinsame europäische Wahl zu machen.

7. dass die Verträge dahingehend geändert werden, dass die Entscheidung über die Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten ausschließlich in der Hand des Europäischen Parlamentes liegt. Das Vorschlagsrecht des Europäischen Rates sollte abgeschafft werden. So wird nicht zuletzt auch der inter-institutionelle Konflikt aufgelöst.

Wir stehen vor einer strukturellen Richtungsentscheidung: Soll die Europäische Kommission aus dem Europäischen Rat oder aus dem Europäischen Parlament heraus bestimmt werden? Wir als Europäische Föderalisten setzen uns nachdrücklich dafür ein, die Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten unzweideutig in die Hände des Europäischen Parlamentes zu legen, das Spitzenkandidatenprinzip zu vervollständigen und die europäische Demokratie auf diese Weise zu stärken. Gerne möchten wir Ihnen nachfolgend darlegen, warum wir uns für ein echtes Spitzenkandidatenprinzip einsetzen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie unser Anliegen unterstützen und uns Ihre Gedanken zu den oben genannten Punkten – insbesondere auch zur Vervollständigung des Spitzenkandidatenprinzips durch die Einführung transnationaler Listen und eine Änderung der Verträge – mitteilen. Wir sind sehr interessiert daran, uns auf dieser Basis in den kommenden Monaten mit Ihnen auszutauschen.

Für ein transparentes und demokratisches Europa!

Mit freundlichen Grüßen
Im Namen der Jungen Europäischen Föderalisten Hessen

Friedel Pape
– Landesvorsitzender –

Weshalb wir uns für ein echtes Spitzenkandidatenprinzip einsetzen:

Im Mai 2019 haben wir, die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, bei den Europawahlen ein neues Europäisches Parlament gewählt. Die europäischen Parteifamilien (EVP, SPE, ALDE, Europäische Grüne Partei, Europäische Linke, AKRE) gingen mit Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten in den Wahlkampf, darunter Manfred Weber für die EVP und Frans Timmermans für die SPE.

Die Einführung dieses Spitzenkandidatenprinzips zur Europawahl 2014 war ein historischer Schritt hin zu mehr Demokratie und Transparenz. Auch wenn es sich dabei um ein politisches Prinzip ohne formellen Charakter handelt, war es dazu geeignet, der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten mehr demokratische Legitimation zu verleihen. Dieser wird auf Vorschlag des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs durch das Europäische Parlament gewählt. Das Spitzenkandidatenprinzip stärkt das Europäische Parlament – die einzige direkt durch die europäischen Bürgerinnen und Bürger gewählte Institution. Es verhilft den Europawahlen zu mehr Bedeutung, indem es den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, mit ihrer Stimme indirekt auch Einfluss auf die Besetzung der Kommissionsspitze zu nehmen.

Mit der unerwarteten Nominierung Ursula von der Leyens für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission hat der Europäische Rat das Spitzenkandidatenprinzip ausgehebelt.

Obwohl dieser Vorgang den Verträgen (Artikel 17, Abs. 7 EU-Vertrag) entspricht, bricht er mit einem zentralen Wahlversprechen und lässt den Wahlkampf der Spitzenkandidaten und ihre öffentlich geführten Debatten zur Farce verkommen. Von der Leyen ist weder einer breiten europäischen Öffentlichkeit bekannt, noch hat sie sich im demokratischen Wettbewerb den Bürgern als Spitzenkandidatin präsentiert. Als überparteilicher Verband richtet sich unsere Kritik dabei nicht gegen von der Leyen als Person, sondern gegen den Prozess, der zu ihrer Nominierung geführt hat. Durch das Übergehen der Spitzenkandidaten und die Nominierung einer im europapolitischen Kontext unbekannten Person zur Kommissionspräsidentin, untergräbt der Europäische Rat die europaweite öffentliche Debatte um diesen wichtigen Posten und schadet dem so wichtigen Ausbau einer europäischen Öffentlichkeit.

Dass der Europäische Rat mit Ursula von der Leyen eine Person nominiert hat, die weder für das Europäische Parlament kandidiert hat, noch im Europawahlkampf in irgendeiner Weise in Erscheinung getreten ist, gibt den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl, ihre Stimme habe keinen Einfluss, und mindert auf diese Weise ihr Vertrauen in die EU. Dies ist Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner. Es besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass durch dieses Vorgehen das weit verbreitete Vorurteil, die EU sei undemokratisch und intransparent, verstärkt wird. Zunehmende Politikverdrossenheit und eine Abwendung der Bürgerinnen und Bürger von der EU wären die Folge. Dies wäre besonders tragisch angesichts der Tatsache, dass die Wahlbeteiligung zur Europawahl, die seit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979 kontinuierlich gesunken ist, bei der diesjährigen Europawahl zum ersten Mal wieder signifikant gestiegen ist.

Dass die Verhandlungen über die Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten auch während des G20-Gipfels in Japan von den wenigen dort anwesenden EU-Mitgliedsstaaten weitergeführt wurden, unterstreicht zusätzlich die geringe demokratische Qualität des Prozesses: Statt die Beratungen im Kreise der 28 zu führen, wurde unter den vornehmlich mächtigsten europäischen Regierungen verhandelt. Ein solch anmaßendes Vorgehen führt zu Misstrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Es ist nicht im Sinne des europäischen Geistes, dass außerhalb der EU-Institutionen Vorentscheidungen getroffen werden, an deren Zustandekommen nicht alle Mitgliedstaaten beteiligt sind.

Dass die im Europäischen Rat zeitweilig diskutierte Nominierung Frans Timmermans als Kommissionspräsident unter anderem an der Blockadehaltung Polens, Ungarns und Italiens scheiterte, ist angesichts der von diesen Ländern angeführten Begründung in hohem Maße besorgniserregend. So wird dem Argument, Timmermans sei aufgrund der von ihm im Namen der Kommission gegen Polen und Ungarn geführten Rechtsstaatlichkeitsverfahren ungeeignet, indirekt Legitimation verliehen. Dies leistet den rechts-nationalistischen Kräften in der EU Vorschub und schwächt die Glaubwürdigkeit der EU. Der Vorfall zeigt eindrücklich, dass die Zuständigkeit für die Besetzung der Europäischen Kommission beim Europäischen Rat und beim Rat der EU strukturell falsch angesiedelt ist. Denn damit entscheiden Gremien der Mitgliedstaaten maßgeblich mit über die Besetzung jenes Gremiums, dessen Aufgabe es unter anderem ist, die Einhaltung der Verträge durch die Mitgliedsstaaten zu überwachen.